Kürzlich hatte ich mit meiner Zahnärztin ein interessantes Gespräch über den Umgang mit Fehlern. Sie wurde durch einen Zeitungsartikel auf eine von mir mitorganisierte Veranstaltung aufmerksam, bei der Unternehmer öffentlich über ihre Misserfolge sprechen. Sie wollte von mir erfahren, was es damit konkret auf sich hat. Ich erwiderte kurz: Es geht um einen offenen und ehrlichen Umgang mit Fehlern.
In diesem Moment stimmte die Zahnarzthelferin in das Gespräch ein und sagte Ja, das geht uns ja auch so. Denn wenn mal was passiert, dann heißt es schnell: "Wer war das?" Wie werden wohl die meisten Menschen auf so eine Frage reagieren? Die Frage nach dem Verursacher eines Fehlers mag sinnvoll sein, wenn es um Haftungsfragen etc. geht, führt aber nicht zwangsläufig zur Vermeidung neuer Fehler.
Nun saß ich just in diesem Moment auf einem Behandlungsstuhl und blicke in eine hell erleuchtete OP-Lampe. Plötzlich war es mir besonders wichtig zu betonen, dass es unterschiedliche Arten von Fehlern gibt: Die, die passieren können, und die, die man vermeiden sollte. Fehler beim Zahnarzt zählte ich natürlich zur zweiten Kategorie. (Wohl wissend, dass das erstmal nur mich selbst beruhigen würde und nichts an der grundsätzlichen Existenz von Fehlern ändert.)
Grund meines Besuchs beim Zahnarzt war übrigens eine fehlerhafte Füllung. Mein vorheriger Zahnarzt hatte offenbar einen Fehler gemacht. Ganz sicher nicht absichtlich, aber im Ergebnis musste ich mich dadurch einer Behandlung unterziehen. Wäre dieser Fehler vermeidbar gewesen? Vielleicht. Wie hätte mein ehemaliger Zahnarzt wohl reagiert, wenn ich ihn mit der Schuldfrage konfrontiert hätte? Wahrscheinlich mit Unbehagen, sicher aber in einer Art Rechtfertigungsmodus. Keine gute Basis für eine sachliche Aufarbeitung möglicher Ursachen.
Auch wenn Fehler nicht zu 100% verhindert werden können, haben wir dennoch einen Einfluss auf den Umgang damit, was eine direkte Auswirkung auf mögliche Wiederholungen hat. Die Frage nach dem Urheber eines Fehlers ist legitim, wenn auch für eine nachhaltige Aufarbeitung nicht wirklich relevant. Wichtiger ist die Frage nach dem Weshalb. Denn erst wenn offen und wertfrei analysiert wird, was zur Entstehung eines Fehlers beigetragen hat, können alle Beteiligten herausfinden und lernen, wie eine zukünftige Wiederholung vermieden werden kann.
Nehmen wir ein fiktives Beispiel: Wenn in einem Krankenhaus die Fehlerquote eines Arztes plötzlich ungewöhnlich hoch ist, könnte eine kurzfristige Lösung die Freistellung dieses Arztes sein. Doch wären damit auch die Ursachen der Fehler behoben? Würde man sich statt auf das "Wer" gleich auf das "Wieso" konzentrieren, könnte herauskommen, dass der betreffende Arzt seit einiger Zeit einen kranken Kollegen vertreten hatte und dadurch mehrfach direkt aus Nachtschichten in Tagschichten wechselte und teilweise 14 Stunden im Akkord operierte. Das Problem war also nicht dieser einzelne Arzt, sondern der Kontext. Ein anderer Arzt hätte unter ähnlichen Bedingungen ebenfalls mehr Fehler gemacht.
Es gibt Bereiche, da sind Fehler unverzeihlich, weil sie katastrophale Folgen nach sich ziehen. Die Atomkatastrophe von Tschernobyl ist z.B. durch eine Aneinanderreihung menschlicher Fehler verursacht worden. Dem gegenüber wurde das lebensrettende Penicillin zufällig durch die fehlerhafte Durchführung eines wissenschaftlichen Experiments entdeckt. Wo Innovation gefragt ist, kann das bewusste Fehler machen sogar eine Methode sein, um ständig neue Lernerfahrungen zu provozieren. Das Prototyping im Design Thinking basiert z.B. auf diesem Prinzip.
Meine Zahnbehandlung verlief übrigens problemlos. Ob es daran lag, dass wir vorher so offen über Fehler und den richtigen Umgang mit ihnen sprachen, wäre Spekulation. Unstrittig ist: Wo eine Null-Fehler-Toleranz gefordert wird, gibt es nicht automatisch weniger Fehler. Sie werden lediglich besser verschwiegen. Fehler sind im Nachhinein oft nicht mehr zu ändern. Statt sich darüber zu ärgern oder nach Schuldigen zu suchen, ist es zielführender, die richtigen Rückschlüsse zu ziehen, um aus ihnen zu lernen.
Hast Du ähnliche Beispiele erlebt oder kennst Du Situationen, in denen ein anderer Umgang mit Fehlern besser gewesen wäre? Dann freue ich mich auf Deinen Kommentar unter diesem Artikel.
Hallo Christian, Toller Artikel!
Zu dem Thema "Fehler verschweigen" gibt es einen sehr spannenden Beitrag von Amy Edmondson "Building a psychologically safe Workplace" https://www.youtube.com/watch?v=LhoLuui9gX8 Sie hat herausgefunden, dass in Teams, die besser kommunizieren, Fehler offener kommuniziert werden.
Der Vortrag kommt übrigens auch noch in der letzten FlowMOOC17-Woche vor (http://frooc.de), wo wir über "Team Flow" sprechen werden. Vielleicht hast Du ja noch Lust, einzusteigen!