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New Work Order

New Work Order
New Work Order

Als ich Mitte 2014 das erste Mal ganz bewusst mit dem Begriff New Work in Berührung kam, lag meine Berufung ins Management einer Softwarefirma gerade wenige Monate zurück. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits viele Jahre Erfahrung mit agilen Organisationsprinzipien und ein solides Wissen über moderne Führungsformen in petto. Dennoch triggerten mich die vielen Ideen, die über den Begriff New Work zu finden waren, regelrecht an.

Vier Jahre später bin ich etwas zurückhaltender geworden und benutze das Label New Work selbst kaum noch. Das liegt einerseits daran, dass um diesen Begriff in der Zwischenzeit ein regelrechter Hype entstanden ist, den viele Unternehmen zur Selbstvermarktung nutzen ohne substanziell etwas an ihren Strukturen und Prozessen zu verändern. Andererseits habe ich mich intensiv mit der Ursprungsidee auseinander gesetzt, die Frithjof Bergmann - der Namensgeber von New Work - in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts formulierte. Einer Zeit, in der in den USA genau das passierte, was in naher Zukunft erneut, nur wesentlich umfassender, passieren wird: Massenentlassungen und damit einhergehend eine Prekarisierung älterer oder wenig ausgebildeter Arbeiter.

Mir wurde klar, dass New Work in Deutschland oft nicht radikal genug gedacht wird und eher einer Symptomverschiebung, als einer substanziellen Änderung der Arbeitswelt gleichkommt. (Vor zwei Jahren habe ich mich schon einmal in einem Grundsatzartikel über New Work dazu geäußert.)

New Work steht in Deutschland noch immer für Abhängige Beschäftigung

Zweifelsohne, viele Ideen, die hierzulande unter New Work firmieren, können zu einer besseren und oftmals auch sinnvolleren Arbeitssituation für einzelne Menschen führen. Aber sie bleiben Instrumente eines bestehenden Paradigmas abhängiger Lohnarbeit. Frithjof Bergman sagte kürzlich dazu in einem Interview: (Das hierzulande existente Verständnis von) New Work ist Lohnarbeit im Minirock. Für viele ist New Work etwas, was die Arbeit ein bisschen reizvoller macht. Und das ist absolut nicht genug.

Richtig verstanden hatte ich die Bedeutung dieser Worte allerdings selbst erst, als ich den sicheren Hafen meiner Festanstellung vor zwei Jahren verließ und ein eigenes Unternehmen gründete. Dieser Sprung ins kalte Wasser war wie der Eintritt in eine Neue Arbeitswelt - New Work im Bergmann'schen Sinne. Plötzlich spürte ich, wie viel mehr befriedigend es war, eine mir aus der Lohnarbeit gänzlich unbekannte Form der Wertschätzung und Anerkennung für das selbst Geleistete zu erfahren. Alle Entscheidungen hatten eine direkte, ungefilterte Auswirkung auf Erfolg und Misserfolg meiner Arbeit. Zwar ohne Netz und doppelten Boden, dafür aber auch ohne lähmendes Business-Theater, politische Machtspielchen, ergebnislose Meetings oder bevormundende Gehaltsverhandlungen etc.

Je weiter ich mich von der einstigen Festanstellung entfernte, umso besser verstand ich Bergmanns bedeutungsschwangere Worte zur neuen Arbeitswelt. Ich konnte das sogar körperlich fühlen. Bin ich früher z.B nach einem anstrengenden Tag oft ausgelaugt und mit einem Gefühl der inneren Leere nachhause gekommen, spüre ich heute selbst in stressigsten Phasen noch unangetastete Energiereserven in mir. Das mag nicht für alle Persönlichkeitstypen gleichermaßen gelten und ganz sicher gibt es Menschen, deren Verlangen nach der (vermeintlichen) Sicherheit einer Festanstellung größer ist als der Wunsch, eigenverantwortlich und selbstbestimmt zu arbeiten. Fast alle Zukunftsprognosen sagen aber eines voraus: Die Zukunft der Arbeit wird volatiler und nicht mehr von Arbeitsplatzsicherheit bestimmt sein. Viele junge Arbeitnehmer erwarten das heute auch gar nicht mehr. Sie wechseln ihre Jobs bereits deutlich häufiger, als die vorherigen Generationen.

Die Arbeitswelt der Zukunft beginnt mit Massenarbeitslosigkeit

Karl-Heinz Land, Gründer der Strategieberatung neuland, sagt z.B.: In 15 - 20 Jahren wird die Hälfte der Arbeit, so wie wir sie kennen, verschwunden sein. Das bedeutet nicht automatisch weniger Jobs, wohl aber eine massive Veränderungen der Arbeitsrealität für die meisten Menschen. Es werden viele neue Jobs mit teils sehr speziellen Anforderungsprofilen entstehen, die für viele Menschen, die in der analogen Zeit ausgebildet und sozialisiert worden sind, schlichtweg unerreichbar sein werden.

Die fortschreitende Digitalisierung und damit einhergehende Automatisierung serieller Arbeitsabläufe wird unwillkürlich Heerscharen von Arbeitslosen in den kommenden 5 - 15 Jahren verursachen. Denn spätestens dann stehen wir an genau jener Nahtstelle, wenn die aktuell noch hoch gefragten Fachkräfte und geschickten Umsetzer unumkehrbar von schlauen Algorithmen und fleißigen Maschinen abgelöst werden.

Das betrifft jetzt schon zahlreiche Tätigkeitsprofile: Davon betroffen sind z.B. die VerkäuferInnen an der Supermarktkasse, der Bank- oder Versicherungskaufmann, die MitarbeiterInnen in Call Centern uvm. - mittelfristig aber auch einen Großteil der Verwaltungsangestellten, Ärzte, Zugführer usw.. Selbst für Polizisten und Soldaten gibt es bereits frühreife Ersatzversionen.

Die Übergangszeit wird geprägt sein von einem zunehmenden Konkurrenzkampf zwischen den Generationen. Denn die Arbeitswelt der Zukunft ist komplex und schnelllebig. Kernkompetenzen für erfolgreiche menschliche Arbeitskräfte werden vor allem Intuition, Kreativität, Empathie sowie Lern- und Veränderungsbereitschaft sein. Attribute, die auch heute schon von enormer Bedeutung sind. Denn Wissen veraltet immer schneller. So liegt die momentane Halbwertzeit von Wissen im technischen Bereich nur noch bei etwa 1,5 Jahren.

»Generation Z« steht für Generation Zukunft?

Gerade bereitet sich eine Generation auf das Berufsleben vor, die schon vor der Grundschule bestens vertraut war mit Tablets und den Vorzügen einer digital-vernetzten Welt. Einer Welt ohne Grenzen und ohne existenzielle Krisen. Eine Generation also, die von der Arbeitswelt sinnvolle Beschäftigung erwartet und der Zeit mit Familie und Kindern wichtiger als eine Karriere sein werden. Gut ausgebildet, oft mehrsprachig aufgewachsen, wissen sie, dass sie wenige und die Zukunft sind. Damit entsprechen sie genau jenem Profil des Wissensarbeiters, der auf absehbare Zeit sehr gefragt und kurz- bis mittelfristig nicht durch künstliche Intelligenz und smarte Roboter ersetzbar sein wird.

Doch auch für diese Generation wird es keine dauerhafte Jobgarantie oder grundsätzlich sichere Beschäftigungsverhältnisse mehr geben. Sie werden sich zuerst gegen eine ältere Generation festangestellter Arbeitnehmer durchsetzen, um schlussendlich früher oder später selbst von einem digitalen Kollegen abgelöst zu werden. Das ist keine dystopische Fantasie und beruht schlichtweg auf der heute vorhandenen Faktenlage. Ich möchte nicht verschweigen, dass es auch in Zukunft Arbeit geben wird, die sich nicht automatisieren lässt oder von einem Algorithmus besser erledigt werden könnte. Dazu gehören Handwerker, Hebammen, Erzieher, Krankenpfleger etc.

New Work erfordert radikale Konzepte auf gesamtgesellschaftlicher Ebene

Was hat das alles mit New Work und Selbstständigkeit zu tun? Sehr viel! Wenn wir als Gesellschaft weiterhin die Illusion aufrecht erhalten, dass unsere Jobs dauerhaft sicher sind, wir uns nicht verändern müssen und zugleich nicht die Rahmenbedingungen für ein alternatives Sozialsystem entwickeln, werden viele Menschen von der Zukunft der Arbeit sehr enttäuscht sein.

Wenn New Work eine Bewegung für die Neue Arbeitswelt ist, müssen sich die Akteure mit Ideen zur Lösung grundlegender Zukunftsfragen beschäftigen. Die Vorzüge eines Homeoffices und die Notwendigkeit höhenverstellbarer Schreibtische zu diskutieren, mag eine nette Plauderei versprechen, löst aber kein einziges substanzielles Problem der nächsten Dekade.

Die Arbeitswelt wird komplexer, schneller und mittelfristig auch automatisierter. Die meisten Unternehmen, so wie unser prägendes Grundverständnis von Wirtschaft, gründen ihr Handeln auf einem linearen Verständnis von Planung, Ausführung und Kontrolle. Nicht-lineare, komplexe Bedingungen erfordern dagegen adaptive Vorgehensweisen, flexible Entscheidungswege und Menschen, die mit einem hohen Grad an Eigenverantwortung agieren können und wollen.

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